Literatur & Radio von Helmut Gold

 
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Wolfgang Amadeus vom Wolfgangsee

Mit es war einmal, beginnen viele Märchen, die zum Träumen anregen, die der Phantasie freien Lauf lassen oder auch wahr werden. So erging es vor einem Viertel Jahrtausend und wenigen Monaten einer jungen Mutter, Anna Maria Walburga, geborene Pertl und ihrem Gatten, dem Salzburger Hofmusiker Leopold Mozart, die sich an einem milden Spätnachmittag im Mai von St. Gilgen am Wolfgangsee aus aufmachten, um auf den Plombergstein zu gehen. Sie wanderten an blumenreichen Wiesen vorbei, begleitet vom Klang der Kuhglocken, durch romantischen Wald und am Ziel angekommen, erfreuten sie sich schliesslich am einmaligen Panorama. Die Zufriedenheit und Glückseligkeit, der sich im Abendlicht wundersam spiegelnden Landschaft, übertrug sich auf das Gemüt der beiden. In dieser Vollmondnacht des Jahres 1756 unter sternklarem Himmel wurde der Grundstein gelegt zu ihrem Sohn, dem sie daher nicht zufällig den Namen Wolfgang gaben.

Wenn Sie heute an der Stelle vorbeikommen und die drei zu Stein gewordenen Brüder sehen, raten Sie einmal, welcher von Ihnen Wolfgang Amadeus sein könnte! Wenn Sie es nicht auf Anhieb herausfinden, gehen Sie über den Falkenstein zum Heiligen Wolfgang. Bei der Kapelle finden Sie ein Augenwasserbrünnel. Benetzen Sie ihre Augen mit der Wundertinktur und wandern Sie zurück zum Plombergfelsen. Sie werden jetzt den richtigen Wolfgang erkennen.

Ganz auszuschliessen ist nicht, dass der Vorname des weltberühmten Mozart auf den Heiligen Wolfgang, Bischof von Regensburg zurückgeht, der um das Jahr 1000 in die Umgebung des Falkensteins zog, dem heutigen St. Wolfgang. Unzählige Fromme pilgerten an den Ort und verhalfen ihm zu Reichtum, bis um 1400 ein grosser Brand alles vernichtete. St. Wolfgang lebte weiter, Dank der Verleihung des Marktrechts erfolgte schon bald wieder ein neuer Aufschwung.

Doch wenden wir uns wieder den beiden Liebenden zu, deren Sohn neun Monate nach der milden Vollmondnacht, im Januar des darauffolgenden Jahres das Licht der Welt erblickte, ein Wunderkind, dem Älterwerden versagt blieb, den der Tod im besten Mannesalter einholte. Es heisst so schön manchmal ist weniger mehr, vielleicht hätte dies zugetroffen, wären Anna Maria und Leopold nicht westlich nach Salzburg, sondern östlich in den Ort gezogen, dessen Namen ihr Sohn trug, St. Wolfgang.

Klavierunterricht hätte Wolfgang auch hier erhalten können und schliesslich auf der Kirchenorgel mit fünf Jahren erstmals am Palmsonntag vor Publikum spielen dürfen. Die Palmkatzerl, eine Salzweidenpflanze als vorösterlicher Glücksbringer, hätten ihn vielleicht in seinem Leben vor Schaden und Unheil bewahrt. Von so manchem begeisterten Zuhörer wäre Wolfgang im Anschluss an die Katzerlweihe im Gasthof zum Verzehr der speziellen Palmwürstel eingeladen worden und er hätte auch kurz am Wolfgangiflascherl, produziert von den Benediktinermönchen, nippen dürfen.

Trotz alle dem hätte Wolfgang genügend Zeit für Kompositionen gehabt, die mitunter bodenständiger, der Volksmusik näher gestanden wären, eher als Sound of Salzkammergut zu bezeichnen, um das ganze Gebiet mit einzubeziehen, als wie der heute sogenannte Sound of Mozart. Er wäre nicht schon in zartem Alter auf Reisen gegangen. Anstatt Westeuropa hätte er zuerst einen Schuhplattlertanz kennen gelernt. Das Lokal Kap Horn würde heute noch durch seine Komposition berühmt sein, wie etwa das Weisse Rössllied aus der gleichnamigen Operette von Ralph Benatzky.

Zusammen mit seiner Schwester Nannerl und anderen Dorfkindern, mit denen er gemeinsam zur Schule gegangen wäre, ohne isoliert nur von seinem Vater zu Hause unterrichtet worden zu sein, hätte er im Sommer im herrlichen Naturschwimmbad, in dem mit Trinkwasser gefüllten See gebadet, am Ufer gespielt oder ganz einfach die Angelrute ins Wasser gehalten, gelacht, sich neue Streiche ausgedacht und gewartet, bis der erste Fisch anbeisst. Damals tauchte man beim Sappl, wo der See seine grösste Tiefe von 142 cm misst, noch nicht. Das Ochsenkreuz auf der kleinen Insel in der Fürbergbucht gab es auch erst viel später. Übrigens ist es nach dem Ochsen benannt, an dessen Schwanz sich sein Herr, der nicht schwimmen konnte, festhielt und diesem so das Leben rettete.

In der ländlichen Idylle ging schon damals alles ein wenig gemütlicher zu und her, trotzdem ging St. Wolfgang mit der Zeit und nahm stets die modernen Entwicklungen an, ohne beliebte Traditionen zu vergessen. Der sonntägliche Frühschoppen ist so eine Veranstaltung, an diesem erklängen noch heute Wolfgangs Volkslieder. Die Jugend würde auch etwas davon mitbekommen, selbst wenn eine ausgiebige Segelparty vom Vortag erst in den Morgenstunden endete. Mit ein paar starken Tassen Kaffee und spätestens beim Höhepunkt des Programms, der Wasserskishow, wäre jede Müdigkeit verflogen. Nachmittags stürzten sie sich dann wieder in den See, schwimmend, tauchend, auf dem Surfbrett, oder sie gingen in die Luft, jedoch im Unterschied zu Ikarus, von einem starken Motorboot gezogen. Neuerdings frönten viele dem jüngsten Trend, dem Tuberiding, einer Art Rodeo auf den Wellen. Vielleicht wäre Wolfgang damals die Idee gekommen, eine Kletterwand direkt im See zu bauen. Diese gibt es bis heute noch nirgends. Es wäre doch sicher eine Attraktion, ohne Seilsicherung sein Glück zu versuchen und schlimmstenfalls ins Wasser zu fallen. Eine Alternative zum traditionellen Maibaumklettern!

Was geschieht aber an Regentagen? Wolfgang könnte sich da ganz auf das musizieren und komponieren konzentrieren. Was machen aber die vielen Touristen, die bei der Reservation ihres Aufenthalts, auch in diesem Jahrtausend, noch keine Schönwettergarantie mitbuchen können? Auf nebelverhangene Berge wie das Zwölferhorn oder auf den Schafberg zu fahren, mit Dampflok natürlich, hätte keinen Sinn. Wie wäre es aber mit der Besichtigung einer der grössten Eishöhlen der Erde, der Dachsteinhöhle? In der weiteren Umgebung befindet sich auch das Salzbergwerk mit den zu den längsten der Welt zählenden Bergmannsrutschen, in dem man wenige Jahre vor Wolfgangs Geburt den Mann im Salz gefunden hatte. Mythisch anmutend dabei der 1400m2 grosse unterirdische, beleuchtete Salzsee. Nicht zu vergessen ist das neueste Wahrzeichen, der Blue Dome, die Welt des Wassers, die Welt der Wunder.

Im Winter vertrieb man sich die Zeit vermehrt mit Bölzl- und Kegelschiessen, bei zugefrorenem See Eislaufen und Eisstockschiessen. An einem Ferientag sind auch heute noch Salzburg oder Bad Ischl ein Fixpunkt, früher natürlich mit der dampfbetriebenen Ischlerbahn.

Die meisten Besucher reisen heute mit dem Auto an. Kein Portier muss mehr vom Schiffsteg die Koffer ins Hotel tragen. Vielleicht hätte sich damals Wolfgang damit sein erstes Geld verdient, Melodien dabei gesummt und wäre einem berühmten Gast aufgefallen in seiner Ausgelassenheit? So hätte seine Karriere wiederum anders verlaufen können.

Zu den Träumen des Paares in jener Vollmondnacht zählte vielleicht auch der Gedanke, auf Grund der lukrativen Anstellung Leopolds als Hofmusiker, der Kauf eines Hauses. Wünschte sich Anna Maria, die ein aufgeschlossenes Wesen war, die Übernahme eines Gasthofs mit Fremdenzimmern? Wolfgang als Kellner, später Koch und schliesslich als über die Grenzen hinaus bekannter singender und komponierender Wirt – vom braunen Rössl? Er hätte die Spezialität der St. Wolfganger Reisetorte kreiert, eine Mehlspeiskomposition, die ohne dem, damals noch nicht existierenden Kühlschrank, ein paar Monate zum Verzehr frisch hielt. Die vielen Pilger und Erholungssuchenden garantierten einen hohen Absatz.

Wäre Wolfgang bei der ernsten Musik geblieben, hätte er die Provinz öfter verlassen und sein Leben mehr auf Reisen als an einem festen Ort verbracht. Um zu seinem Geburtsort immer wieder zurückzukehren, hätte er eine Seebühne bauen lassen und seine Opern und Sinfonien hier uraufführen können. Dem wäre ein Konzerthaus gefolgt, bald eine Musikakademie, das Wolfgangeum. Beinahe hätten wir bei den Betrachtungen vergessen, dass an die Seite Wolfgangs auch eine Frau gehört. Im Morgengrauen der romantischen Nacht, hatten sich Anna Maria und Leopold vorgestellt, welche Partner einst ihre Tochter oder ihr Sohn heiraten und wieviel Kinder sie in die Welt setzen würden.

Nennen wir die Frau Wolfgangs Aloisia. In eine Aloisia hatte sich Mozart ja tatsächlich verliebt. Unsere ihm zugewiesene Aloisia weist seine Liebe jedoch nicht zurück. Sie ist eine Einheimische und Vater Leopold entdeckt ihr Gesangtalent. Das singende Wirtepaar des braunen Rössls ist geboren, andernfalls die internationale Karriere der beiden, wobei Aloisia öfter zu Hause wäre, um sich um die Kinder zu kümmern. So ist es schliesslich sie, die zwischendurch auch die Leitung der Seebühne oder der Musikakademie übernehmen würde. Die Familientradition hätte sich bis in die heutige Zeit fortgesetzt und St. Wolfgang wäre nun berühmter als Salzburg: Kultur, Kulinarisches, Sport, Wandern, Wellness und vieles mehr in paradiesischer Umgebung. Hätte es bei der Eröffnung des Golfplatzes eine sogenannte Wolfgang Kugel gegeben, eine besondere, süsse Spezialität, wäre Wolfgang vielleicht nach fast einem Viertel Jahrtausend in dieser Form zurückgekehrt.

St. Wolfgang begnügt sich damit, ein muss für jeden mehrtägigen Salzburgaufenthalt zu sein.

Es geht mit der Zeit, ohne seinen Charme zu verlieren, es ist nicht die grosse weite Welt, aber alle Welt trifft sich hier und gerade diese bescheidene Grösse macht St. Wolfgang so beliebt.

 
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